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„Papier hat auf jeden Fall noch Wachstumspotential“

Seit 175 Jahren ist die Gebr. BELLMER Maschinenfabrik aus Niefern-Öschelbronn eine feste Größe in der Papierindustrie. Heute entwickelt und baut das Familienunternehmen Maschinen und Anlagen für Papier- und Zellstoffherstellung sowie Separationsanlagen, die in der Fruchtsaftproduktion und in der Umwelttechnik gefragt sind. Im Interview erklärt Erich Kollmar, der das Unternehmen mit seinen Brüdern Martin und Philipp leitet, warum er fest an die Zukunft der Papierindustrie glaubt, welche Herausforderungen für eine vollautomatisierte Produktion zu meistern sind und wieso BELLMER in schwierigem Marktumfeld stetig wächst.

Herr Kollmar, können Sie ihr Unternehmen kurz vorstellen?

Erich Kollmar: Gebr. BELLMER ist ein 1842 gegründetes Familienunternehmen in der sechsten Generation. Mit unseren 600 Mitarbeitern haben wir letztes Jahr rund 150 Mio. Euro Umsatz erwirtschaftet. Wir entwickeln und bauen Maschinen und Anlagen zur Produktion von Papier, Karton, Verpackungs-, Spezial-, Sicherheits- und Dekorpapieren oder Faserplatten. Daneben liefern wir Separationstechnik, die in der Fruchtsaftproduktion ebenso wie in der Fluss- und Seeentschlammung, Trinkwasseraufbereitung oder Klärschlammentwässerung gefragt ist.

Welche Rolle spielt Papier heute für Ihr Unternehmen?

Kollmar: Eine sehr große. Mit faserbasierten Produktionsanlagen machen wir gut drei Viertel unseres Umsatzes. Das Vierte geht in über 60 verschiedene Industrien. In der Regel erzielen wir zwischen zwei Drittel und drei Viertel aller Umsätze in internationalen Projekten.

Welche Synergien bringt das Nebeneinander von Papier- und Separationstechnik?

Kollmar: Im Bereich der Fest-Flüssig-Trennung setzen wir auf Kleinserien, in denen sich die Baugrößen und eingesetzten Materialien zwar unterscheiden. Doch es ist anders als bei den Papieranlagen kein Sondermaschinenbau. Papiermaschinenprojekte haben meist Laufzeiten zwischen 12 und 18 Monaten, wogegen es in der Separationstechnik oft eher drei bis sechs Monate sind. Dieses Nebeneinander kurzer und langer Projekte hilft, die Auslastung unserer Fertigung zu steuern.

Hat sich die Nachfrage im Bereich Paper Technology in den letzten Jahren verändert?

Kollmar: Unsere Kunden in diesem Bereich investieren klassischerweise, um sich erhöhten Qualitätsanforderungen zu stellen, neue Funktionalitäten anzubieten oder um Kosten- und Ressourceneinsparungen zu erreichen. Ein typisches Projekt ist etwa die Modernisierung der Pressenpartie einer bestehenden Anlage. Wir entwickeln im Austausch mit dem Kunden ein Konzept, eruieren vor Ort, worauf beim Umbau zu achten ist und welche Anpassungen beim Einbau des neuen Anlagenteils nötig sind. Erst dann beginnen die Konstruktion, Bestellung extern gefertigter Komponenten und schließlich die Fertigung. Die Papierindustrie agiert in langen Zyklen, wobei die Nachfrage glücklicherweise weder global synchronisiert ist, noch im Bereich der Produktgruppen. Auch deshalb wachsen wir seit Jahren stetig. Das liegt zudem daran, dass BELLMER GROUP für absolut zuverlässige, pünktliche Projektabwicklung steht. In den letzten 20 Jahren gab es nur in zwei von einigen hundert Projekten Verzögerungen.

Auch die Papier- und Zellstoffindustrie setzt auf moderne Steuerungstechnik. Wie weit ist die Branche auf dem Weg zur vollvernetzten, automatisierten Produktion?

Kollmar: Gegenüber dem Stand vor zehn Jahren sind wir sehr weit. Verglichen mit manch anderer Industrie stehen wir am Anfang. Der Traum vollautomatisierter Produktionsanlagen liegt noch in einiger Entfernung. Das liegt auch am Rohstoff, denn Fasern und auch Wasser sind Naturprodukte mit schwankenden Eigenschaften. Auch darum haben wir uns auf Papier und Karton spezialisiert und Ausflüge in den Nonwoven-Bereich beendet. Geschwindigkeit, Stoffdichte, Grammatur und Festigkeit können physikalische Grenzen im Prozess sprunghaft verändern. Allein im Papier- und Kartonbereich gibt es eine enorme Fülle an Ein- und Ausgangsparametern, zumal wir es in der Produktion auch noch mit variierenden Anteilen von Recyclingpapier zu tun haben. Nach unserem Ermessen wird der Mensch noch lange unverzichtbar bleiben, wenn es darum geht, das Beste aus dem jeweiligen Fasermaterial herauszuholen. Eine vernetzte Automatisierung muss ihn dabei bestmöglich unterstützen.

Über 60 Prozent Ihrer Projekte drehen sich um Produkte und Dienstleistungen, welche keine drei Jahre alt sind. Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Forschung & Entwicklung?

Kollmar: Es gibt einen Masterplan zur kontinuierlichen Verbesserung unserer Produkte und Dienstleistungen. In regelmäßigen Abständen nehmen wir sie uns vor und diskutieren quasi am weißen Blatt Papier, was wir verbessern können. Und wenn Kunden Wünsche und Ideen formulieren, hören wir genau hin. Ein wichtiges Innovationsfeld ist die softwaregesteuerte Interaktion unserer Aggregate und Prozesse. Wir haben an vier Standorten Spezialisten, die Steuerungen und Automationslösungen konzipieren, programmieren und in Betrieb nehmen.

Worum geht es bei der Automatisierung?

Kollmar: Wir unterscheiden drei Kategorien: BellCheck, für schnelle verständliche Zustands- und Fehlerdiagnosen, BellLife für präventive Wartung und BellSelf zur gezielten Optimierung der Papierqualität – etwa mit Blick auf ein homogenes Flächengewicht des Papiers. Ziel ist es, Kunden bestmöglich beim Anlagenbetrieb zu unterstützen.

BELLMER wächst in angespanntem Marktumfeld und 2012 sogar ein neues Werk in Betrieb genommen. Welche Zukunft hat der oft totgesagte Papiermarkt?

Kollmar: Papier hat auf jeden Fall noch Wachstumspotential. Aber wahrscheinlich wird sich die Bezeichnung in „faserbasierte nachwachsende Rohstoffprodukte“ ändern, da Papier für Industrie-Outsider tatsächlich totgesagt klingt. Wenn Sie aber bedenken, wie oft Ihnen Papier im Alltag begegnet, dann verwundern kontinuierliche jährliche Wachstumsraten von 1 bis 3 Prozent in den verschiedenen Produktbereichen nicht. Auch die Wahrnehmung von Papier und Pappe verändert sich: Wer hätte vor fünf Jahren im Supermarkt eine simple Wellpappenkiste für einen Euro gekauft, um Einkäufe nach Hause zu transportieren? Solche Entwicklungen haben viel damit zu tun, dass unsere Recyclingkette funktioniert und allgemein bekannt ist. Ein weiterer Wachstumstreiber ist der innovationsfreudige Markt für Spezialpapiere. Ein schönes Beispiel ist Creapaper, die Papier aus Gras herstellen.

Abschlussfrage: Was sehen Sie, wenn Sie sich BELLMER im Jahr 2030 vorstellen?

Kollmar: Ein hoffentlich weiterhin agiles, neugieriges und kundenorientiertes Unternehmen mit technologisch anspruchsvollen Produkten. Wir sollten unserer Philosophie treu bleiben, unsere Kunden weltweit partnerschaftlich unterstützen und sie mit unserem Knowhow und unseren Services weiterhin bestmöglich unterstützen. Zudem sind die ersten Vertreterinnen der nächsten Familiengeneration im Unternehmen. Wenn Sie Lust daran entwickeln, kann bei unserem 200-Jährigen Jubiläum im Jahr 2032 schon die siebte Generation am Ruder sein.

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